Am Mittwoch, dem 13. September 2017, bot sich dem Bayreuther Börsenverein die Gelegenheit, mit der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Brigitte Zypries, ein Interview in Berlin zu führen.
Die SPD-Politikerin ist die erste Frau an der Spitze des Wirtschaftsministeriums und setzt sich insbesondere für Frauen in Führungspositionen und eine Gründerkultur in Deutschland ein.
In einem Interview mit Nele Theilacker beantwortete Frau Zypries einige interessante Fragen kurz vor der Bundestagswahl.

Brigitte Zypries

© Susie Knoll

BBV Frage: Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nach wie vor für viele Unternehmen attraktiv.
Was zeichnet Deutschland als Wirtschaftsstandort aus?

Frau Zypries: Deutschland hat einen innovativen Mittelstand, eine gute universitäre und außeruniversitäre Forschungslandschaft sowie eine sehr gute Lebensqualität. All dies macht einen attraktiven Standort für Unternehmen aus. Jetzt müssen wir die Weichen dafür stellen, dass das auch in Zukunft so bleibt und uns fit machen für die Digitalisierung. Die dafür nötigen Investitionen müssen wir zügig auf den Weg bringen. Außerdem müssen wir mehr in Bildung investieren – von der Kita bis zur Hochschule oder Berufsschule.

BBV Frage: Welche Bedeutung hat dabei der Mittelstand?

Frau Zypries: Der Mittelstand macht unser Land wettbewerbsfähig und schafft Arbeitsplätze. Über 99% unserer Unternehmen zählen zum Mittelstand, über 82% aller Auszubildenden lernen dort. Mittelständler stellen knapp 60% aller Arbeitsplätze, 56% unserer Wirtschaftsleistung wird in mittelständischen Unternehmen geschaffen. Mit ihm steht und fällt unser jetziger und künftiger Erfolg in Deutschland, er ist das Rückgrat unserer Wirtschaft.

BBV Frage: Welche Bedeutung hat „Gerechtigkeit“ in einer Gesellschaft für die Entwicklung der Wirtschaft?

Frau Zypries: Für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt ist Gerechtigkeit unabdingbar. Die deutsche Wirtschaft brummt derzeit, wir haben Haushaltsüberschüsse und einen Beschäftigungsrekord. Trotzdem haben viele Menschen das Gefühl, dass sie vom steigenden Wohlstand abgekoppelt wurden. Und das zeigen auch die Zahlen: Die Bruttolöhne der „unteren 40 Prozent“ liegen deutlich unter denen im Jahr 1995. Die oberen Einkommen sind in dieser Zeit aber deutlich gestiegen. Das ist gefährlich für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir brauchen daher nicht nur Wachstum, sondern inklusives Wachstum, also ein Wachstum, von dem alle profitieren. In dieser Legislaturperiode konnten wir den Trend stoppen, die Reallöhne steigen wieder. Aber hier muss noch mehr passieren. Dazu müssen etwa untere Einkommen entlastet werden, die Tarifbindung gestärkt und der Spielraum für Lohnerhöhungen genutzt werden. Wir müssen mehr in Bildung und Betreuung investieren. Und für Frauen muss endlich das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit durchgesetzt werden.

BBV Frage: In Deutschland wird verglichen zu anderen Ländern wenig gegründet. Sie setzen sich für eine Gründerkultur ein.
Wieso braucht Deutschland Start-Ups und wie bewerten Sie das Risiko solcher Projekte?

Frau Zypries: Es gibt in Deutschland sehr viele engagierte Gründerinnen und Gründer. Aber wir brauchen noch mehr, v.a. mehr Frauen. Die vergleichsweise niedrigen Zahlen haben sicherlich auch damit zu tun, dass die Unternehmen derzeit Fachkräfte suchen und Viele von guten Jobs in die Unternehmen gelockt werden. Aber das ist es nicht alleine: Wir brauchen insgesamt eine neue Gründungsmentalität. Scheitern etwa darf nicht als Makel, sondern muss als Lernprozess wahrgenommen werden. Oft fehlt es auch am nötigen Kapital. Das Wirtschaftsministerium unterstützt Startups daher bei der Finanzierung durch eine Vielzahl von Förder- und Finanzierungsprogrammen, wie z.B. das EXIST Programm, das bei Gründungen aus Hochschulen finanzielle Starthilfe gibt. Mit dem INVEST Programm wird der Einstieg sog. Business Angels, die nicht nur Kapital, sondern auch wertvolles Know-how einbringen, attraktiver gestaltet. Zudem wird Technologie-Unternehmen über den High-Tech Gründerfonds Risikokapital zur Verfügung gestellt. Auch für die entscheidende Wachstumsphase haben wir zielgenaue Förderprogramme aufgelegt.

BBV Frage: Wie profitiert die Wirtschaft von Frauen in Führungspositionen? Und was halten Sie von der Frauenquote?

Frau Zypries: Wir haben ja bereits die Quote für die Aufsichtsräte. In den Vorständen sieht es aber immer noch ganz anders aus. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Frauen sind nicht nur in den Führungspositionen unterrepräsentiert, sondern auch als Gründerinnen und Unternehmerinnen. Das ist für mich nicht nur eine Frage von Gerechtigkeit, sondern auch von vertanen Chancen für unsere Wirtschaft und zum wirtschaftlichen Schaden unseres Landes. Stellen Sie sich vor, genauso viele Frauen wie Männer würden ein Unternehmen gründen. Das wäre ein riesiger Schub für unsere Wirtschaft.

BBV Frage: Wie sehen Sie die Entwicklung der Börsen in Deutschland mit dem Hintergrund der gescheiterten Fusion der Börse Frankfurt und London?

Frau Zypries: Ein Unternehmen wie die Deutsche Börse muss sein Geschäft kontinuierlich weiterentwickeln. Die Deutsche Börse hat hierfür zahlreiche innovative Initiativen gestartet: Die vorbörsliche Plattform Deutsche Börse Venture Network (DBVN) im Frühsommer 2015 zum Beispiel, oder auch das neue Marktsegment Scale für kleine und mittlere Unternehmen im März 2017, das wir von Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums sehr unterstützt haben. Der bevorstehende EU-Austritt Großbritanniens kann für die Börsen neue Entwicklungschancen eröffnen. Bereits jetzt haben sich mehrere in London ansässige Banken, die auf das Wertpapiergeschäft spezialisiert sind, dafür entschieden, ihren Standort in Frankfurt oder anderen deutschen Städten auszubauen.

BBV Frage: Seit Jahren wird in Deutschland bemängelt, dass die Aktienkultur nicht so ausgeprägt ist wie in anderen Ländern.
Will die Bundesregierung dies ändern und wenn ja, wie?

Frau Zypries: In Zeiten niedriger Zinsen können Aktien für die private Altersvorsorge und Vermögensbildung attraktive Renditechancen bieten. Tatsächlich ist die Aktienkultur in Deutschland aber weniger ausgeprägt als etwa im angelsächsischen Raum. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss für sich selbst entscheiden, ob Aktien ein geeigneter Baustein für seine Geldanlage sein könnte. Hier ist die Finanzbranche gefordert, Anleger individuell und in Bezug auf Risiken transparent zu beraten. Ein guter Beitrag zur Stärkung der Aktienkultur wäre eine weitere Verbreitung der Mitarbeiteraktie bei der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch am Erfolg des Unternehmens teilhaben können. Das trägt auch zur Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen bei. Das Bundeswirtschaftsministerium informiert daher interessierte Unternehmen, die eine Mitarbeiterbeteiligung einführen wollen.